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Shutterstock integriert Dall-E / Social Media-Menschsortiermaschinen / Facebook-Start und Mental Health
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Shutterstock integriert Dall-E
Der Stockphoto-Ser Shutterstock hat angekündigt, den Image Synthesizer Dall-E in sein Angebot zu integrieren. OpenAI hatte zuvor bereits Fotografien des Dienstes für das Training der AI lizensiert.
Die Einbindung eines Image Synthesizers in einen Stockphoto-Anbieter ist eine der ersten wirklichen kommerziellen Anwendungen von Image Synthesizern, neben direkt kommerziellen Pay-Sites für Image Synthesis. Darüber hinaus ergibt die Einbindung eines ImageSynths sehr viel Sinn für einen Stockphoto-Service, deren Dienste als allererste von ImageSynth-Technologie automatisiert werden.
Das eigentlich interessantere Detail dieser Nachricht ist die EInrichtung eines "Contributor Fund", durch den Fotografen für die Nutzung ihrer Bilder in AI-Datasets bezahlt werden sollen. Da diese Datensätze viele Millionen bis Millarden von Bildern enthalten und die Einnahmen durch Stockphoto-Service ohnehin überschaubar sind, dürften die Einnahmen durch Lizensierungen von Fotografien für die Nutzung in Datensätzen allerdings marginal bleiben.
Gleichzeitig verbietet Shutterstock den Upload von AI-generierten Bildern, da die Frage nach Urheberrechten bislang ungeklärt sei, und folgt damit großen Stockphoto-Plattformen wie Getty Images, die das Hochladen AI-erzeugter Bilder auf ihrer Plattform ebenfalls untersagt haben. Zwei Anmerkungen hierzu: Ich kann mit Stable Diffusion hoch aufgelöste Illustrationen anfertigen, die weder digitale Wasserzeichen enthalten und nach wenigen oberflächlichen Bearbeitungen nicht von herkömmlichen digitalen Illustrationen zu unterscheiden sind. Auf welcher Basis die Plattformen hier eine Entscheidung treffen wollen, erscheint mir schleierhaft. Und obwohl gerne die Sage vom AI-generierten Artwork kolportiert wird, das nicht für das amerikanische Copyright angemeldet werden kann, gibt es mindestens zwei Präzedenzfälle, in denen AI-Artworks problemlos geschützt wurden. Shutterstock und Getty könnten also auf rechtlich durchaus sicherem Boden AI-generierte Artworks an ihre Kunden lizensieren. Dies betrifft allerdings nicht die Frage nach der Nutzung von Fotografien und Illustrationen in Datensätzen zum Training der AI-Systeme. (Daneben ist die deutsche Regelung für Urheberrechte in Zeiten von Bild-Synthese nach wie vor völlig ungeklärt.)
Shutterstock lizensiert nun also nicht mehr nur Bilder an seine Kunden, sondern auch an AI-Unternehmen für die Nutzung als AI-Trainingdata. Wie genau die Ausschüttung aus dem Contributor Fund stattfinden wird, ist mir nicht bekannt. Gegenüber The Verge äußerte sich Shutterstock bezüglich der Ausschüttung so: "The share individual contributors receive will be proportionate to the volume of their content and metadata that is included in the purchased datasets."
Die Formulierung "purchased datasets" deutet darauf hin, dass Shutterstock an spezialisierten AI-Image-Synths arbeitet, die verschiedene Ästhetiken bereitstellen können: Ein Dall-E für Landschaftsbilder, ein Dall-E für Küchenutensilien, ein Dall-E für Tiere, ein Dall-E für Portraifotos und so weiter. Ebenfalls kann ich mir eine Ausschüttung nach Keywords und Prompts vorstellen. Fotografen, die Füchse fotografiert haben, erhalten Lizenzzahlungen für Prompts, die Füchse beinhalten, anteilig am Gesamttopf für den Tierbilder-Synthesizer.
Interessant erscheint mir hier der Gedanke, dass hier eine Maschine die Arbeiten vieler Fotografen benutzt, um neue Werke zu schaffen, die direkt verkauft werden. Die Arbeit der Fotografen ist für den Rezipienten des Werks also nur noch insofern interessant, dass eine breite Datenbasis für Parameter in der Bildsynthese geschaffen werden, die einen ausreichenden Realismus des Outputs gewährleistet. Gebe ich als Kunde bei Shutterstock den Satz "The quick brown fox jumps over the lazy dog" ein, erzeugt die Maschine ein Bild davon und verteilt einen "Contributor Karma Point" an die Fotografen von Füchsen, Hunden und springendem Getier. Interessanterweise spielt damit das Werk des Fotografen für den Kunden überhaupt keine Rolle mehr und alle künstlerische Intentionalität des Fotografen ist verloren. Künstlerisch betrachtet wird damit der Urheber des Werks zu seinem eigenen Konkurrenten, einer einerseits ein Bild von einem Fuchs verkaufen möchte, andererseits mit seinem Style zu einem anderen Foto eines Fuchses beiträgt. Art eats itself.
Pragmatisch gesehen öffnet sich hier zwar eine weitere Tür zur kommerziellen Verwertung von Fotos und Illustrationen, die allerdings den Wert von Gebrauchsgrafik noch weiter senken wird, nachdem kreative Arbeit durch Netzwerkeffekte auf Anbieterplattformen für Grafikleistungen bereits massiv entwertet wurden.
Neben HaveIbeentrained von Spawning ist der "Contributor Fund" von Shutterstock nun der zweite Ansatz für den Umgang mit Image Synthesis und ihrer Automatisierung der Bilderzeugung anhand großer Datensätze, die praktisch die gesamte Kunstgeschichte umfasst und auch die Arbeiten lebender Künstler einschließt. Ob er eine wirkliche Lösung für die Entwertung kreativer Arbeit in Zeiten der synthetischen Bilderzeugung darstellt, wage ich zu bezweifeln.
Andererseits könnten solche “Contributor Funds” als zukünftige OwnYourData-Lizenzen für alle möglichen anfallenden User-Daten funktionieren, anhand derer Plattformen wie Facebook heute die Machine Learning-Modelle ihres Advertising-Business trainieren. Eine Forderung von Netzaktivisten, die in anderen Kontexten schon lange im Raum steht.
Polarisierung durch Menschsortiermaschinen
Seit einigen Jahren schon schreibe ich darüber, dass Echokammern (im Gegensatz zu den nicht nachweisbaren Filterbubbles) zwar durchlässige und nicht hermetisch abgeschlossene Gebilde sind, dies aber noch lange nicht bedeutet, dass es zu einem fruchtbaren diskursiven Austausch mit dem politischen Gegner kommt. Das Gegenteil ist der Fall: Wir benutzen Meldungen und News über die Gegenseite, um unsere eigenen tribalistischen Instinkte zu befriedigen und die eigene Seite zu stärken. Ein neues Paper von Petter Törnberg bestätigt diese These und erklärt die Rolle sozialer Medien, die diesen Prozess als emotional-algorithmische Sortiermaschinen ermöglichen.
In seiner Studie beschreibt Törnberg die durch soziale Medien ausgelöste "Meta-Krise" als eine der Ursachen für andere Krisen, die dank der Wahrnehmungs-Verzerrungen und den durch sie ausgelösten Polarisierungen nur unzureichend gelöst werden können. Weiter beschreit Törnberg soziale Medien als Räume für Identitätsfindung und Selbstpräsentation, die in Folge einer überregionalen Sichtbarkeit und erhöhter Interaktion mit den politischen Gegnern in einer gruppenbezogenen Polarisierung resultieren, bei der einzelne Haltungen zu spezifischen Themen an Relevanz verliert und alleine Identitätsmarker und Zugehörigkeit zu einer Gruppe die vorwiegende Ursache von Zustimmung oder Misstrauen wird. Die Polarisierung der Öffentlichkeit basiert vor allem auf Gruppenzugehörigkeit und Emotion, nicht auf Inhalten oder Meinungen.
Dies alles ist nun nicht unbedingt neu und wurde unter dem Stichwort Tribalisierung bereits oft beschrieben. Tönberg geht nun allerdings einen Schritt weiter und erklärt in seinem Paper, wie soziale Medien als tribalistische Sortiermaschinen dienen: Digitale Medien funktionieren naturgemäß überregional, User sind in digitalen Medien einer vielfach höheren Interaktionsrate mit Menschen ausgesetzt, die sie im echten Leben niemals antreffen würden. Die Folge ist eine monolithische Sicht auf politische Identitäten: aus lokalen Mississippi Republikanern werden überregionale Republikaner, die sich nicht vorwiegend als Vertreter der lokalen Identität "Mississippi" sehen, sondern als Vertreter der überregionalen Identität "Republikaner". In Folge passen sich die einzelnen Haltungen innerhalb der Partei immer weiter an, die gesellschaftliche Polarisierung wächst. Die Identitätsgestaltung durch überregionale soziale Medien lässt Nutzer wiederum "Stellung beziehen", angefeuert durch opportunistische Politiker und Aktivisten und der Wettbewerb in einer internationalen Aufmerksamkeitsökonomie beschleunigt diese Polarisierungsspirale zusätzlich -- die Gesellschaft sortiert sich in digital beschleunigten, affektgetriebenen digitalen Medien entlang überregionalen und hypersichtbaren politischen Identitäten.
Törnberg vergleicht soziale Medien in seinem Paper mit der Insel in William Goldings Roman "Herr der Fliegen", ein "sozialer Raum, der die Emergenz von separierten sozialen Gruppen erzeugt, kollektive Identitäten stärkt und politische Gegner in Konflikte zwingt".
Das Paper lässt sich nur bedingt auf die Situation in Deutschland anwenden. Polarisierung hierzulande ist weit weniger ausgeprägt als in englischsprachigen Ländern, was der parlamentarischen Pluralität geschuldet sein dürfte. Aber in einem Zweiparteiensystem wie in den USA mit "Medienhäusern" wie Fox News wird die Social Media Menschsortiermaschine zu einem Brandbeschleuniger, dessen Konflikerzeugungspotential auch hierzulande grade bei Themen mit hohem Empörungsfaktor sehr wirksam ist und bleibt. Die Sicht auf soziale Medien als überregionale Sortiermaschinen politischer Identitäten hilft dabei, diesen Prozess zu verstehen.
Das Paper von Törnberg findet man hier: How digital media drive affective polarization through partisan sorting, in einem Thread auf Twitter erklärt Törnberg die Hintergründe.
Facebooks Start verursachte Mental Health-Probleme an US Unis
Seit einigen Jahren nun wird darüber gestritten, ob der Aufstieg sozialer Medien Ende der 2000er und Anfang der 2010er zu einem Anstieg von Mental Health-Problemen führte. Der amerikanische Sozialpsychologe Jonathan Haidt arbeitet seit geraumer Zeit an einem Buch über das Phänomen, das nach wie vor von Netzaktivisten gerne geleugnet wird. So wurde etwa vor wenigen Jahren gerne eine Studie herumgereicht, die feststellte, dass die Nutzung sozialer Medien dieselben Effekte auf die Psyche eines Menschen hätte, wie das Essen von Kartoffeln. Dass diese Studie nur die Zeit vor dem Bildschirm untersuchte und dabei Gaming und Filmschauen mit Social Media in einen Topf warf, wurde dabei von den Techno-Utopisten großzügig übersehen.
Eine neue Studie von Luca Braghieri (Bocconi University), Roee Levy (Tel Aviv University) und Alexey Makarin (MIT) hat nun Daten von über 400.000 Studierenden aus den Zeiträumen vor und nach Facebooks sukzessivem Launch in den Universitäten der USA Mitte der 2000er untersucht und kommt zu dem eindeutigen Ergebnis: Zumindest Zuckerbergs Plattform Facebook ist der nachweisliche Grund für den Anstieg von Mental Health-Problemen am Campus.
Dazu verglichen sie die Daten der Nutzung von psychiatrischen Services bevor und nach dem Start von "The Facebook" (wie die Plattform damals noch hieß) und fanden einen signifikanten Anstieg, vor allem unter Menschen, die Persönlichkeitsmerkmale einer Anfälligkeit für Depressionen aufweisen. Diese Studie bezieht sich nur auf Facebook und den Start der Plattform an US-Colleges, man muss sich allerdings vor Augen halten, dass beim Start von Facebook noch kein Newsfeed im Produkt enthalten war und die algorithmische Sortierung noch weitaus weniger umfassend. Der Anstieg der gesundheitlichen Probleme dürfte also bereits alleine auf gesteigerte Sichtbarkeit und den damit einhergehenden sozialen Vergleich durch Vernetzung zurückzuführen sein. Wie viele Kartoffeln gegessen werden müssen, um denselben Effekt zu erzielen, hat die Studie nicht untersucht.