Outrage-Memetik im Oxytocin-Netz
Vernetzte Hormon-Junkies im Ausgrenzungs-Rausch und stochastischer Terrorismus
GOOD INTERNET ELSEWHERE // Twitter (Newsletter) / Twitter (Links) / Facebook (Newsletter) / Facebook (Links) / Instagram (Pics and Memes) / Reddit (Links) / Telegram (Links)
SUPPORT // Substack / Patreon / Steady / Ko-Fi / Paypal / Spreadshirt
Seit nun rund 6 Jahren schreibe ich über die Empörungs-Kaskaden in den sozialen Netzen und ihre Ursachen. Die Erklärungen der Experten und Netz-Aktivisten lauten vor allem: Kapitalismus, Algorithmen und Nazis. Ich behaupte seit Jahren, dass die Ursachen sehr viel einfacher sind und nicht zuvorderst in kapitalistischen Ausbeutungssystemen, undurchsichtigen Algorithmen oder der Präsenz von Radikalen zu suchen sind, sondern vor allem in gesteigerten sozialphysikalischen Größen der Masse, Geschwindigkeit und Sichtbarkeit, die psychologische Effekte erzeugen, denen sich niemand entziehen kann.
Eine neue Studie vom Juli 2021 zeigt nun, dass der größte Faktor in der Viralität von Postings die Erwähnung des politischen Gegners ist, was bis zu rund 7mal höhere Viraleffekte erzeugte, als etwa emotionale Ansprache. Der Effekt war vor allem bei Politikern ausgeprägt, was einerseits auf herkömmliche politische Grabenkämpfe zurückzuführen ist, andererseits aber auch die besondere Verantwortung politischer Kommunikation im Netz aufzeigt.
Across 2,730,215 total observations from Facebook and Twitter, we find that posts about the political out-group are consistently more likely to be shared than those about the political in-group. The effect of out-group language was the most important predictor of sharing behavior in posts from both news media accounts and politicians—considerably stronger than the effects of political in-group language or various discrete emotions, which have previously been the main focus when assessing what makes content go “viral” online (17, 26, 56). To contextualize this large effect, the percent increase in estimated shares associated with out-group language was 4.8 times as big as that of negative affect language and 6.7 times as big as that of moral-emotional language—previously established predictors of message diffusion online.
This out-group effect was also robust against different ways of operationalizing the out-group, suggesting that this pattern of results is not primarily driven by the mention of specific terms or particularly divisive politicians, such as Donald Trump. The effect was not moderated by political orientation or by social media platform when we measured findings in an internal meta-analysis. However, the effect of out-group language was considerably stronger among politicians than in the news media accounts, perhaps because of the more explicitly partisan rhetoric among political elites (57, 58) and their followers. Additionally, given prior concerns that much of social media research focuses predominantly on Twitter due to the relatively easy accessibility of Twitter data (4), it is notable that similar patterns were found on both Twitter and Facebook.
Political in-group and out-group language also generated distinctly different forms of engagement, reflecting clear patterns of in-group favoritism and out-group derogation. For instance, out-group language strongly predicted “angry” reactions (as well as “haha” reactions, comments, and shares), and in-group language strongly predicted love reactions. Though, notably, out-group language was about twice as strong a predictor of “angry” reactions as in-group words were of “love” reactions. Thus, posts about the out-group may be so successful because they appeal to emotions such as anger, outrage, and mockery. Indeed, the “angry” reaction was the most popular reaction on Facebook in seven of the eight datasets analyzed.
Das Kuschelhormon Oxyticin in einer Empörungs-Ökonomie
Die Viral-Effekte, die diese Studie beschreibt, werden meines Erachtens — die Studie selbst sagt nichts über die neurochemischen Prozesse im Gehirn aus — durch die Ausschüttung des Hormons Oxyticin ausgelöst, das eigentlich für Harmonie innerhalb einer Gruppe sorgen soll und deshalb allgemein auch unter dem Namen „Kuschelhormon“ bekannt ist. Oxyticin wird vom Hypothalamus ausgeschüttet und lässt Rattenmütter ihren Nachwuchs stillen, überzeugt Wühlmäuse von einem monogamen Lebensstil und bringt uns dazu, einander zu vertrauen.
Dieses “Hormon der Liebe” sorgt in Situationen, in denen wir uns sicher fühlen, für stärkeren sozialen Zusammenhalt. In Situationen und Umgebungen jedoch, die wir als unsicher einschätzen, fördert das Hormon defensives Verhalten, Abneigung und Ausgrenzung. Oxytocin spielt auch eine große Rolle bei der Wahrnehmung von sozial auffälligem Verhalten. Eine weitere Studie stellte einen Zusammenhang zwischen Oxytocin und Ethnozentrismus fest.
Der Neuroökonom Paul Zak führte vor rund 10 Jahren im Auftrag des Magazins FastCompany einen Versuch durch, um festzustellen, wie sich die Werte des Hormons Oxytocin während der Nutzung von Social Media veränderten. 10 Minuten Twitter sorgten beim Journalisten für einen Anstieg von 13% und in weiteren Experimenten schoss der Wert während der Kommunikation eines Pärchens um satte 150% in die Höhe.
Ich behaupte, dass die Ergebnisse dieser neuen Studie, also die um ein Vielfaches gesteigerten Viraleffekte durch Empörung über Mitglieder der Outgroup, durch die Ausschüttung dieses Hormons erzielt werden, die Empörung über die Outgroup also dazu dient, die sozialen Kontakte der Ingroup zu stärken.
Die Gamifizierung durch öffentlich einsehbare Engagement-Metriken (also Like-Zahlen und Comments) erzeugen hier zusätzlich eine Wettbewerbssituation um die absurdesten Fundstücke aus der gegnerischen Filterbubble, der Sieger erhält neue Follower, einen ordentlichen Shot Kuschelhormon und Dopamin. Es entsteht ein hormonell bedingter Aufmerksamkeitswettbewerb um Empörung.
Ich nannte diese Mechanismen vor drei Jahren das "Oxytocin-Web", das in psychologische Manipulationen wie Clickbaiting und die immer engere Vernetzung durch immer mehr User auf immer weniger Plattformen einen idealen Nährboden fand. Diese Empörungs-Ökonomie mit ihrer Hormon-Währung Oxyticin hat unsere vor zehn Jahren noch halbwegs normal-streitbaren Debatten in eine Online-Diskurs-Hölle verwandelt.
All diese Effekte gab es zwar bereits in den Vorreitern der sozialen Medien wie Blogs, so waren zum Beispiel sogenannte "Rants", also empörte Texte über diese oder jene Ungerechtigkeit schon immer ein sicherer Viral-Garant, auch schon in Prä-World Wide Web-Zeiten im Usenet und BBS, aus dem ganz einfachen Grund, weil Wut und Empörung die dringlichste aller Emotionen darstellt.
Die Zentralisierung sozialer Medien auf wenige Plattformen bei gleichzeitiger Zunahme von Masse (also User-Anzahl), Geschwindigkeit (friktionslose 1-Click-Sharing-Mechanismen) und Sichtbarkeit verstärkten diese Effekte allerdings noch einmal massiv. Unser tolles Internet, das uns mit unseren Freunden und Bekannten in tatsächlichen und scheinbaren sozialen Verbindungen vernetzt, ist vor allem ein Empörungs-Netz und basiert auf der Ausgrenzung der anderen Tribes. Wir verspüren dank der Hormon-Shots und den neurochemischen Belohnungsmechanismen eine tatsächlich erregende Lust an Diffamierung, Herabsetzung und Ausgrenzung, weshalb ich das Internet für eine Weile auch auch gerne "Das Neue Geile Internet" nannte.
Genau aus diesen Gründen halte ich Aktivismus im Netz für prinzipiell problematisch, denn Aktivismus ist zunächst die Anprangerung eines Missstandes, oftmals verbunden mit der Anprangerung der Out-Group, oftmals Konservative, oftmals zurecht. Und mir ist vollkommen klar, dass politische Organisation im 21. Jahrhundert an digitaler Vernetzung und Sozialen Medien nicht vorbeikommt. Genau deshalb sollten Aktivisten die neurochemischen Bedingungen der Outrage-Memetik ihrer eigenen Vernetzung kennen.
Im Fall von linken Aktivisten mögen diese psychologischen Phänomene memetisch-viraler Empörungskaskaden (bislang) "nur" übergriffige Zensur-Fantasien (die sogenannte Cancel Culture) und eine Hierarchie identitätsbasierter Diskriminierung ("Victim-Olympics") erzeugen -- bei den von rechten Aktivisten und verantwortungslosen Politikern aufgewiegelten Extremisten führen die gleichen Phänomene allerdings durch Mechanismen des stochastischen Terrorismus zum Mord.
Das Internet ist, genau wie die Techno-Utopisten und Netz-Aktivisten voraussagten, indeed eine Maschine, die die Menschheit durch Gemeinsamkeiten verbindet. Nur ist diese Gemeinsamkeit meistens der Hass auf die Anderen.
du bist da grundsätzlich schon auf dem richtigen pfad, allerdings gibt es die erklärung für die grundsätzliche Ursache bereits komplett ausgearbeitet bei rené girard, dem inzwischen verstorbenen begründer der mimetischen theorie, von da ist es zur memetik nur ein kleiner schritt. ganz kurz: menschliches begehren/verhalten ist mimetisch, also nachahmend. alles was ich will möchte ich weil andere es wollen. das führt zu konkurrenz bzw gewalt. daraus wiederum resultiert scapegoating als form diese spannungen zu kanalisieren. girard schreibt bereits in den 80ern: victim groups tend to be the next oppressor because they think they are ultimately innocent. Peter Thiel liest Girard und steigt darauf bei facebook ein weil er erkennt was daraus entstehen kann. Girard ist dadurch so ein bisschen der Lieblingsphilosoph für Thiel, Musk und co geworden. Man nennt ihn den Erfinder des Like Buttons. Dafür kann er aber nichts, seine Analyse kann auch ohne die Jungs bestehen. Das was wir in social media heute unverstellt und amplifiziert sehen, erkennt er bereits in den Personenkonstellationen der Romane des 19.Jhd. (figuren des begehrens - das selbst und der andere in der fiktionalen realität) Da steht eigentlich schon alles drin (: Als Katholik betont er die Bedeutung des Christentums in der Hinwendung zum Opfer, da muss man ihm nicht in allem folgen aber interessant ist es allemal. Hier mal ein link zu der thiel - girard conncection, von dort lohnt es sich rückwärts zu gehen und sich bei girard einzulesen. Dieses Konfliktverhalten was man nun jeden Tag erlebt, ohne Nachlassen weiterzumachen bis die Kontrahenten irgendwann ununterscheidbar sind, das Verhalten von Opfergruppen etc. beschreibt er bereits so detailiert dass man staunt. lg c
https://thesocietypages.org/cyborgology/2016/08/13/mimesis-violence-and-facebook-peter-thiels-french-connection-full-essay/