Social Media are drugs / Billionaires on crack
Jonathan Haidt answers to his critics and the situation is much worse than he thinks.
Jonathan Haidt, dessen Arbeit ich seit langer Zeit beobachte (etwa hier, hier und hier), hatte vor einigen Monaten in einem langen Artikel dargelegt, warum die Sharing Mechanismen der Sozialen Medien seines Erachtens nach weltweit Vertrauen in Institutionen erodieren lassen, unsere tribalistischen Impulse befeuern und damit die Grundprinzipien unserer Demokratie angreifen. Haidts Artikel wurde von der Piqd-Redaktion auch ins Deutsche Ă¼bersetzt.
Nun legt Haidt nach und antwortet in einem neuen Text ausfĂ¼hrlich auf die (in meinen Augen nur oberflächlich argumentierenden) Kritiker seiner Argumentation, vor allem auf die Gegendarstellungen von Pratiti Raychoudhury, Vizepräsidentin und Head of Research von Meta/Facebook. Raychoudhry und Meta ziehen sich auf den Standpunkt zurĂ¼ck, dass die Ergebnisse der Forschung zur Auswirkung von sozialen Medien auf den demokratischen Diskurs umstritten sei und man zu diesem Zeitpunkt nicht sicher sagen könne, wie toxisch die Wirkung sozialer Medien im Diskurs tatsächlich ausfällt.
Raychoudhry erwähnt an dieser Stelle nicht, dass das Unternehmen der Wissenschaft oft nur unzureichende Daten zur VerfĂ¼gung stellt und der Forschung den Zugang zu Datensätzen entzieht, was eine wirklich detailierte und zeitnahe Forschung zu einem Thema wie Viralität praktisch verunmöglicht. Forderungen nach Datentransparenz kommt das Unternehmen nur schleppend nach und erst die Veröffentlichungen der Facebook Papers durch die Whistleblowerin Francis Hagen konnte ein genaueres Licht auf die Konsequenzen der Praktiken des Unternehmens werfen. Ăœber Datentransparenz fĂ¼r Wissenschaftler verliert Metas Vize in ihrer Antwort auf die berechtigten Sorgen eines der bekanntesten Sozialpsychologen der Welt kein Wort.Â
Ich verfolge die Auswirkungen sozialer Medien auf die menschliche Psyche seit circa 2012, als ich beobachtete, wie der damals aufkommende Clickbait-Journalismus es sozialen Medien ermöglichte, die Psychologie des Menschen in nie gekanntem AusmaĂŸ auszubeuten und mit einfachen Tricks die Wahrnehmung der Menschen zu manipulieren. Ich gebe Jonathain Haidt nicht nur Recht, ich befĂ¼rchte sogar, dass die Situation weitaus dramatischer ist, als es der Psychologe in seinen Artikeln darstellt.
Während die Appologeten der digitalen sozialen Medien nicht mĂ¼de werden zu betonen, dass Studien die Existenz von Filterbubbles verneinen wĂ¼rden und Echo Chambers durchlässig seien, zeigt sich im Gesamtbild, dass genau diese Faktoren die Viralität von Aggression und Tribalismus steigert. Ja, soziale Medien sorgen dafĂ¼r, dass wir mehr Inhalte des politischen Gegners sehen, aber wir benutzen diese Inhalte nicht etwa dafĂ¼r, um unsere Haltung zu Ă¼berdenken und differenzierte SchlĂ¼sse zu ziehen, sondern wir benutzen die Inhalte der anderen Seite dazu, um sie zu diffamieren, uns Ă¼ber die Idiotie der Anderen lustig zu machen und damit Karma Points in Form von Likes und Shares zu sammeln. Dieses Spiel aus politischem Gossip wird vor allem von politischen Akteuren in industriellem Umfang betrieben, die öffentliche Meinung wird zum Spielball digital manipulierbarer Kräfte.
Und als wäre dies noch nicht schlimm genug: Soziale Medien sorgen dafĂ¼r, dass wir uns bei der Verbreitung viraler Häme, Aggression und Spott wohl fĂ¼hlen. Als weiteres Puzzle-Piece verlinke ich an dieser Stelle noch eine Studie, die belegt, dass die sogenannten Dark Triad Traits der menschlichen Psyche mit authoritären politischen Haltungen auf beiden Seiten korreliert.
Um ein wirkliches Bild der Situation bekommen, sollte man sich an dieser Stelle zusätzlich ins Gedächtnis rufen, dass eine der gängigsten digitalen Kulturtechniken sozialer Medien bislang nicht oder nur unzureichend Einzug in die wissenschaftliche Untersuchungen von Viralität findet: Wir teilen die Inhalte der Anderen oft als Screenshot in Form einer Bilddatei, die nicht durch textuelle Analyse erfasst wird.
Dies sind nur eine handvoll von Details, die bereits ein haarsträubendes Bild von der Auswirkung sozialer Medien auf die dunkleren Seiten der menschlichen Psyche werfen, weiterhin wären die mutmaĂŸlichen Effekte von Viralität auf sozial wirksame AusschĂ¼ttungen des Hormons Oxytocin zu nennen und die damit verbundene wirtschaftliche Ausbeutung menschlicher Empörungs- und Erregungspotenziale, oder etwa die Gamifizierung des politischen Diskurses, dessen neue Spiel-Mechaniken nun auch Auswirkungen auf die Wahrnehmung der Realität zeigt, oder die dramatischen psychologischen Folgen der Content-Moderation auf Angestellte, deren Arbeit darĂ¼ber hinaus massiv unterbewertet ist, oder die verzerrte Körperwahrnehmung durch soziale Vergleichsmöglichkeiten auf Instagram und die damit einhergehende Digitale Dysmorphie, oder die emotionale Ansteckung mit nicht-funktionalen Ticks. Von den bekanntesten Phänomenen wie dem allseits beliebten und vor allem in der sogenannten "Netzcommunity" schöngeredeten "Trolling", also der vernetzter Schwarm-Psychopathie, oder stochastischen Terrorismus durch virale Paranoia habe ich hier noch gar nicht angefangen.
Ich bin daher in persönlichen Betrachtungen dazu Ă¼bergegangen, soziale Medien mit psychoaktiven Drogen zu vergleichen, die unsere Psychologie aufgrund vernetzter Sozialität mit HormonausschĂ¼ttungen manipuliert, genau wie etwa XTC Serotonin und Dopamin ausschĂ¼ttet. XTC sorgt genau wie Soziale Medien fĂ¼r ausgeprägtes Sozialverhalten und Kuschelstimmung, wir synchronisieren gerne auf XTC mit anderen Leuten, auf dem Dancefloor und beim Sex. Wer einmal erlebt hat, wie ein Technoclub um 7 Uhr morgens vollkommen synchronisiert auf die Musik abgeht, weiĂŸ, wie Narrative Wellen und Synchronisationen in digitalen Sozialmedien funktionieren. Gute Social Media Influencer bespielen ihr Publikum wie Deejays und die flirrende Multiperspektive der prismatischen Wahrheit in sozialen Medien bedeutet auch Bewusstseinserweiterung.
Der Vergleich mag extrem wirken, aber in meinen Augen erfordern die mannigfaltigen und stellenweise extremen Effekte sozialer Medien auf die menschliche Psychologie ein passendes Bild. Psychoaktive Drogen als Metapher fĂ¼r hypersoziale Medien erscheinen mir dafĂ¼r mehr als geeignet.
Wie schädlich sind Soziale Medien also wirklich? In meinen Augen: Sehr.
(Zuerst veröffentlicht auf Piqd.)
Billionaires on crack
Passend zum obigen Artikel, von Computer_Nightmares auf Instagram: Billionaires on crack, halluziniert vom AI-Bildgenerator Midjourney.